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Ausgabe Oktober 2023

Oktober 2023

Fachartikel

Vertrauenspersonen

Die Vertrauensperson im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
Wann kommt eine gesetzliche Regelung?
Von Michael Soiné

Kronzeugenregelung

Das mögliche Zusammenspiel von § 25 Abs. 4a AufenthG und strafrechtlichen "Kronzeugenregelungen"
Eine wirksame Methode zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität?
Von Trygve Ben Holland, Sarah Holland-Kunkel, Arthur Hartmann, Gabriela Piontkowski, Sergio Bianchi, Johann Kattenstroth und Oleksiy Kononov

Zwangsheirat

Frauen im familiären Gefängnis 
Perlenschatz: mehr als ein Frauenhaus!
Von Anette Bauscher

Diskriminierung

Handlungskonzepte gegen strukturelle und individuelle Erscheinungsformen von Diskriminierung, Rassismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
Von Roland Hoheisel-Gruler und Dr. Isa Ciftci

Terrorismus

Eine kriminaltheoretische Betrachtung des Einflusses baulicher Strukturen auf die Auswahl terroristischer Anschlagsziele – Teil 2
Von Leon Eßer
Teil 1 in Kriminalistik 07/2023

Burnout im BKA

Burnout im Bundeskriminalamt
Von Karl-Heinz Fittkau und Hagen Reinhardt
Teil 1 in Kriminalistik 07/2023

Kriminalistik-Schweiz

Forensic Nursing
Gedankenexperiment zur rechtsmedizinischen Versorgung der Zukunft 
Teil 2: Postmortale Versorgung
Von Julian Mausbach, Valeria Kägi, Daniel Jositsch und Michael J. Thali
Teil 1 in Kriminalistik 01/2023

 

Kriminalistik-Campus

Aktuelle Blockadeaktionen der „Letzten Generation“ vor dem Hintergrund des Versammlungsgesetzes NRW 
Von Christian Pietschmann

Sozialpraktika im Polizeistudium
Förderung von Perspektivenwechsel und Diversitätskompetenz
Von Bettina Franzke und Katja Birnfeld-Raskin

 

Recht aktuell

Verdeckte Befragung durch V-Person 

Zur Grenze zwischen (zulässiger) Strafverteidigung und Strafvereitelung

Zum Richtervorbehalt bei einer Observation

 

Literatur

Neues Lehrbuch Kriminologie
Kemme, Stefanie/Groß, Eva (Hrsg.), Basislehrbuch Kriminologie


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Fachartikel

Die Vertrauensperson im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
Wann kommt eine gesetzliche Regelung?
Von Michael Soiné
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode u. a. vorgesehen, den strafprozessualen Einsatz von Vertrauenspersonen gesetzlich zu regeln. Medienberichten zufolge kommt das Gesetzgebungsverfahren ins Rollen. Der Beitrag setzt sich mit aktuellen Rechtsfragen auseinander.

Das mögliche Zusammenspiel von § 25 Abs. 4a AufenthG und strafrechtlichen ,Kronzeugenregelungen‘
Eine wirksame Methode zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität?
Von Trygve Ben Holland, Sarah Holland-Kunkel, Arthur Hartmann, Gabriela Piontkowski, Sergio Bianchi, Johann Kattenstroth und Oleksiy Kononov
Im Rahmen mehrerer EU-geförderter Projekte (2021–2026) aus Mitteln des ISF und des JUSTICE-Fonds – namentlich BIGOSINT, INTERCEPTED, OSINT RADAR und UNCHAINED – zum schwerpunktmäßigen Themenbereich Menschenhandel wurden vom Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung (IPoS) und dem Jean Monnet Centre of Excellence CICJ der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen (HfÖV) in Kooperation mit dem Civic Institute to promote the Rule of Democracy (CIRD) sowie dem Konsortialpartner AGENFOR3 einzelstaatliche Bestimmungen in Albanien, Deutschland, Griechenland, Italien, Moldau und Spanien zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität betrachtet. Hierbei stellte sich auf – nicht nur – Deutschland bezogen die Frage, ob die ,Kronzeugenregelungen‘ (§ 46b StGB, § 261 Abs. 8 StGB und § 31 BtMG) i. V. m. aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich Opfern des Menschenhandels (§ 25 Abs. 4a AufenthG) möglicherweise ein wirksames kombiniertes Mittel für Ermittlungen darstellen könnte, um kriminelle Netzwerke aufzudecken und nachhaltig bei Ausübung ihrer illegalen Aktivitäten zu stören.

Frauen im familiären Gefängnis
Perlenschatz: mehr als ein Frauenhaus!
Von Anette Bauscher
Einsam, isoliert, unterdrückt, verzweifelt. Das sind viele junge Frauen mitten in Deutschland. Nicht nur Minderjährige, auch junge Erwachsene sind davon betroffen. Die meisten von ihnen bleiben anonym und allein mit ihrem Schmerz, selbst wenn sie einer Arbeit nachgehen. Betroffen sind insbesondere Frauen und Mädchen aus patriarchalisch geprägten Familienverhältnissen. Dieser Beitrag geht im ersten Teil auf die Situation Betroffener sowie Ursachen ein. In einem zweiten Teil erfolgt eine Darstellung der Arbeit des Vereins Perlenschatz e.V. sowie erfolgskritischer Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Frauen. Abschließend wird ein Ausblick auf die weitere Entwicklung gewagt.

Handlungskonzepte gegen strukturelle und individuelle Erscheinungsformen von Diskriminierung, Rassismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
Von Roland Hoheisel-Gruler und Dr. Isa Ciftci
Wenn es um die Sicherheitskultur in Deutschland geht, bedarf nicht nur die Betrachtung von gesellschaftlichen Entwicklungen und die Beobachtung verfassungsfeindlicher Tendenzen, sondern auch die Kultur, die in den Behörden gelebt wird, eines besonderen Augenmerks. Wenn es darum geht, Erscheinungsformen von Diskriminierung, Rassismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit konsequent anzugehen, erfordert es der Analyse und adäquater Ansätze auf jeder einzelnen Ebene. Darüber hinaus ist es von Vorteil, wenn diese dann auch interaktiv vernetzt werden können. Vor diesem Hintergrund zeigt der vorliegende Artikel Handlungskonzepte bei Aus- und Fortbildung gegen strukturelle und individuelle Erscheinungsformen von Diskriminierung, Rassismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Verwaltung und insbesondere in der Polizei auf.

Eine kriminaltheoretische Betrachtung des Einflusses baulicher Strukturen auf die Auswahl terroristischer Anschlagsziele – Teil 2
Von Leon Eßer
Der zweite Teil des Beitrags knüpft an den ersten Teil des Beitrags in Heft 7/2023 der Kriminalistik an. Dort hatte der Autor die Frage aufgeworfen, ob es nicht sinnvoll wäre, zur Abwendung von terroristischen Anschlägen auf bauliche Maßnahmen zu setzen, die auf die Stärken und Schwächen des jeweiligen terroristischen Akteurs abgestimmt sind und die die Begehung von Anschlägen gegen die jeweilige Struktur verhindern können. Der Autor untersucht diese Frage vor allem im Zusammenhang mit Anschlägen durch Einzeltäter, sog. Lone Wolves. Nachdem er im ersten Teil Grundbegriffe wie die Situative Kriminalitätsprävention und Lone Wolves hat, geht es im zweiten Teil darum darzulegen, aus welchen Gründen bauliche Strukturen die Auswahl von Anschlagszielen beeinflussen, und um die Vorstellung von Instrumenten, mit denen man die Attraktivität von bestimmten Strukturen als Anschlagsziel bestimmen kann.

Burnout im Bundeskriminalamt
Von Karl-Heinz Fittkau und Hagen Reinhardt
Nachdem im ersten Teil der Darstellung die Beschreibung der Problemstellung und des aktuellen Forschungsstandes erfolgte (Kriminalistik 7/2023), wird in dem folgenden zweiten Teil die darauf aufsetzende Studie dargestellt und das Ergebnis eingeordnet.

 

Kriminalistik Schweiz

Redaktion: Schweizerische Kriminalprävention, Chantal Billaud

Forensic Nursing
Gedankenexperiment zur rechtsmedizinischen Versorgung der Zukunft
Teil 2: Postmortale Versorgung
Von Julian Mausbach, Valeria Kägi, Daniel Jositsch und Michael J. Thali
Anschliessend an die Betrachtungen der Versorgung von gewaltbetroffenen Personen durch Forensic Nurses im ersten Teil unseres Gedankenexperiments (Kriminalistik 1/2023), bietet der zweite Teil eine Auseinandersetzung dazu, welche Rolle Forensic Nursing im postmortalen Bereich spielen könnte. Sowohl zur Identifizierung bisher unentdeckter Tötungsdelikte, zur Erhöhung der forensischen Expertise bei der Todesfeststellung als auch zur Sicherstellung der zukünftigen Versorgungssicherheit in Bezug auf Legalinspektionen rückt dabei das Forensic Nursing in den Fokus. Es bietet die Möglichkeit, forensisch wenig geschulte Ärzte und Ärztinnen auf deren Wunsch zu unterstützen, allenfalls Drucksituationen bei der Bewältigung aussergewöhnlicher Todesfälle zu mildern sowie bei der Untersuchung von Leichen ein grösseres Augenmerk auch auf hinterbliebene Angehörigen zu werfen. Forensic Nursing könnte daher ein wichtiger Mosaikstein bei der Gestaltung der rechtsmedizinischen Versorgung der Zukunft zu sein.

 

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Kriminalistik Campus

Redaktion: 
Joachim Faßbender, KD i.H., Deutsche Hochschule der Polizei, Münster, L/Fachgebiet III/3 „Kriminalistik – Phänomenbezogene Kriminalstrategie“, Departement Kriminal- und Rechtswissenschaften

Aktuelle Blockadeaktionen der „Letzten Generation“ vor dem Hintergrund des Versammlungsgesetzes NRW
Von Christian Pietschmann, Polizeihauptkommissar und Polizeiratsanwärter des Landes Nordrhein-
Westfalen, derzeit im Studium an der Deutschen Hochschule der Polizei

Proteste in unterschiedlichen Formen im Zusammenhang mit dem Wandel des Klimas sind aktuell allgegenwärtig. Damit verbunden findet eine Debatte zur rechtlichen Einordnung der unterschiedlichen Protestformen vor dem Hintergrund der grundgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit statt. Mit Verabschiedung eines Versammlungsgesetzes für Nordrhein-Westfalen 2021 hat der Landesgesetzgeber von seiner ihm im Zuge der Föderalismusreform zugestandenen Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Im folgenden Beitrag werden die Blockadeaktionen der „Letzten Generation“ unter Beachtung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit und hierzu erfolgter Rechtsprechung im Lichte des noch jungen VersG NRW betrachtet und die Protestform des „Anklebens“ einer rechtlichen Bewertung unterzogen.

Sozialpraktika im Polizeistudium
Förderung von Perspektivenwechsel und Diversitätskompetenz
Von Bettina Franzke und Katja Birnfeld-Raskin
Sozialpraktika und Service Learning im Polizeistudium eröffnen vielfältige Chancen. Es werden Argumente für das Lernen in sozialen Einrichtungen und durch Engagement sowie Ausgestaltungsmöglichkeiten in der polizeilichen Ausbildung vorgestellt.

 

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Recht aktuell

Verdeckte Befragung durch V-Person
1. Der heimliche Einsatz von Personen, die den Beschuldigten befragen, um ihn zu belastenden Äußerungen zu veranlassen, ist jedenfalls dann zulässig, wenn es sich bei der den Gegenstand der Verfolgung bildenden Tat um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt und wenn der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden – für deren Auswahl untereinander wiederum der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt – erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre.
2. Der vernehmungsähnlichen Befragung von Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht sind jedoch – wegen ihrer Nähe zum Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit – rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. Aus dieser Nähe sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip, speziell dem Grundsatz des fairen Verfahrens, kann sich eine heimliche Befragung im Einzelfall auch unter Berücksichtigung des Gebots einer effektiven Strafverfolgung als unzulässig erweisen (hier verneint).
3. Ein Verwertungsverbot hinsichtlich einer heimlichen Aufzeichnung eines (nicht öffentlichen) Gesprächs kommt nur dann in Betracht, wenn das Gespräch zwischen einer Vertrauensperson und dem Tatverdächtigen verbotswidrig fixiert wurde.

BGH, Urt. v. 15.2.2023 – 2 StR 270/22
jv


Zur Grenze zwischen (zulässiger) Strafverteidigung und Strafvereitelung
1. Der Verteidiger ist in der Regel berechtigt und sogar verpflichtet, dem Beschuldigten zu Verteidigungszwecken mitzuteilen, was er aus den Akten erfahren hat.
2. Im gleichen Umfang, wie er ihm den Akteninhalt mitteilen darf, ist der Verteidiger prozessual auch berechtigt, den Beschuldigten über das Verfahren zu unterrichten und ihm sogar Aktenauszüge und Abschriften aus den Akten, auszuhändigen. Ausnahmen kommen von diesem Grundsatz grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Information des Mandanten zu verfahrensfremden Zwecken erfolgt oder der Untersuchungszweck gefährdet würde oder dies zu befürchten ist.
3. Einem Verteidiger ist es auch nicht schlechthin verboten ist, seinen Mandanten über drohende Zwangsmaßnahmen zu informieren und ihm etwa auch darauf gerichtete, aus den Akten ersichtliche Schritte mitzuteilen.

OLG Jena, Beschl. v. 18.01.2022 – 1 Ws 487/21
jv


Zum Richtervorbehalt bei einer Observation
1. Eine Observation nach § 163f1. StPO erfasst nur solche Maßnahmen,
die personenbezogen sind, und liegt
nur dann vor, wenn sie der zielgerichteten
Beobachtung einer bestimmten
Person dient.
2. Liegt der Fokus der Observation hingegen nicht auf einer Person, sondern auf einer bestimmten Örtlichkeit, wie es regelmäßig bei Serientaten der Fall ist, wenn noch keinerlei Anhaltspunkte für die Identität des mutmaßlichen Täters vorliegen und die Observation der bisherigen bzw. möglicher weiterer Tatorte erfolgt, um erste Anhaltspunkte für die Identität des Täters zu erhalten, so handelt es sich der Sache nach um eine Objektüberwachung, auf die § 163f StPO keine Anwendung findet.
3. Die Überwachung eines größeren Waldstücks fällt in den Anwendungsbereich des § 100h Abs.1 Satz 1 Nr. 1 StPO und bedarf deshalb keiner richterlichen Anordnung.

LG Bamberg, Beschl. v. 8.5.2023 – 13 Qs 22/23
jv

 

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Literatur

Neues Lehrbuch Kriminologie
Kemme, Stefanie/Groß, Eva (Hrsg.), Basislehrbuch Kriminologie, VDP, 2023, 35 Euro

Der Markt der Kriminologie-Publikationen ist um ein Werk reicher. Nachdem das Buch „Kriminologie: Für Studium und Praxis“ von den Autoren Horst Clages und Ines Zeitner vom Verlag Deutsche Polizeiliteratur (VDP), im Jahre 2019 aus dem Programm genommen wurde, fehlte im Sortiment des VDP ein entsprechendes Standardwerk zur kriminalwissenschaftlichen Disziplin der Kriminologie. Diese Lücke ist nun mit dem „Basislehrbuch Kriminologie“ geschlossen. Die beiden Herausgeberinnen, Professorin Dr. jur. Dipl. Psych. Stefanie Kemme und Professorin Dr. Eva Groß, besitzen zu dieser Thematik eine anerkannte Expertise. Stefanie Kemme war u. a. Juniorprofessorin für Strafrecht an der Fakultät für Rechtswissenschaft, Institut für Kriminalwissenschaften, an der Universität Hamburg. Von Juni 2015 bis März 2023 war sie als Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Hochschule der Akademie der Polizei Hamburg tätig. Seit April 2023 lehrt und forscht sie als Professorin für Kriminologie an der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster. Eva Groß ist seit Dezember 2018 an der Hochschule der Akademie der Polizei Hamburg tätig, davor wirkte sie seit 2008 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität und seit 2015 an der kriminologischen Forschungsstelle des LKA Niedersachsen.
Das „Basislehrbuch Kriminologie“ möchte in 14 Kapiteln einen Überblick über den kriminologischen Forschungsstand unter besonderer Berücksichtigung des Blickwinkels der Polizei geben. Das ist durchaus bemerkenswert und ein Alleinstellungsmerkmal, weil andere kriminologische Publikationen auf dem Markt diese explizite Sichtweise nicht bieten. Die meisten kriminologischen Grundlagenwerke richten sich an Leserinnen und Leser mit einem rechtswissenschaftlichen oder soziologischen Background. Ebenso bemerkenswert an diesem Buch ist, dass die Beiträge von – insgesamt fünf – Autorinnen stammen, (männliche) Autoren sucht man vergeblich. Abgesehen davon, dass auch die übrigen Autorinnen über eine unzweifelhafte Expertise verfügen, verwundert dieser Aspekt nicht, denn Frauen sind in der Lehre und Forschung im Bereich der Kriminologie stark vertreten, aber als Autorinnen für kriminologische Standardwerke bisher deutlich unterrepräsentiert. Man fragt sich an dieser Stelle, warum das bisher so war?
Obwohl das Buch einen Umfang von insgesamt 486 Seiten hat, fühlt es sich beim Lesen nicht wie ein „dicker Wälzer“ an. Ein Fakt, den insbesondere die Studierenden und Auszubildenden schätzen dürften. Die einzelnen Kapitel sind relativ kompakt geschrieben, beinhalten aber grundsätzlich die spezifischen und wesentlichen Aspekte. Im ersten Teil des Buches werden – wie in anderen kriminologischen Basiswerken auch – die klassischen kriminologischen Themen, wie beispielsweise die Geschichte der Kriminologie, Kriminalitätstheorien, Viktimologie und Kriminalitätswahrnehmung, behandelt. Im zweiten Teil werden besondere Kriminalitätsfelder, wie Gewaltkriminalität, Sexualdelikte, Hasskriminalität und Kriminalität im Kontext von Migration, betrachtet. Zahlreiche Tabellen und Abbildungen dienen der Darstellung und dem besseren Verständnis. Am Anfang eines Kapitels finden sich jeweils die Lernziele in Form von Fragestellungen, am Schluss eines Kapitels erfolgt eine Zusammenfassung der wesentlichen Punkte als „Merkposten“. Die Autorinnen bemühen sich dabei, die Thematiken auf die Anforderungen des Polizeidienstes auszurichten und führen jeweils spezifische Fallbeispiele an, um den Praxisbezug zu verdeutlichen. Wer schon einmal das Vergnügen hatte, in einer polizeilichen Bildungseinrichtung Kriminologie zu unterrichten, dem ist bewusst, dass es nicht immer ganz einfach ist, den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten und nachhaltig deutlich zu machen, wie wichtig die Kriminologie für Schutz- und Kriminalpolizisten und -polizistinnen ist. Gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Berufszufriedenheit, was Berufseinsteigenden meist nicht bewusst ist. Wer mehr zur Entstehung und den Erscheinungsformen von Kriminalität weiß und sich (und anderen) erklären kann, ist insgesamt zufriedener im Job und auch – ein gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht ganz unwesentlicher Nebeneffekt – weniger anfällig für gefährliche rechte Tendenzen.
In der Gesamtbewertung muss man konstatieren, dass man genau das bekommt, was das Buch verspricht: ein Basislehrbuch der Kriminologie. Den Autorinnen ist es gelungen, ein modernes, leicht lesbares und verständliches Werk geschaffen zu haben. Ein Wermutstropfen, der den Gesamteindruck leider etwas trübt, ist der Umstand, dass das Buch trotz seines Umfangs im Teil 2 bei der Betrachtung besonderer Kriminalitätsfelder teilweise recht oberflächlich bleibt. Das ist für ein Basiswerk zwar nicht ungewöhnlich, denn ein Basislehrbuch will einen ersten Überblick verschaffen und diejenigen, die sich einer wissenschaftlichen Materie erstmalig nähern, dabei nicht gleich überfordern. Wenn man sich aber mit einzelnen Kriminalitätsphänomenen intensiver beschäftigen möchte, kommt man trotz der Verweise auf Links zu Online-Quellen am Ende jedes Kapitels nicht umhin, sich mit weitergehender Literatur – auch aus dem Bereich der Kriminalistik – auseinanderzusetzen. Besonders deutlich wird dieser Umstand im Kapitel 14 „Organisierte Kriminalität und Wirtschaftskriminalität“, welches auf knapp 16 Seiten abgehandelt wird. Dem Kriminalitätsphänomen „Wirtschaftskriminalität“ werden dabei ganze zwei Seiten gewidmet. Hier gäbe es aus kriminologischer Sicht deutlich mehr darzustellen, gerade auch zum Thema Tätertypologien. Inhalt und Umfang mögen für die Ausbildung der Schutzpolizei des „mittleren Dienstes“ gerade noch ausreichend sein, für das Studium von Kommissaranwärtern und -anwärterinnen der Kriminalpolizei ist es aber deutlich zu wenig. Auch wenn man fairerweise anmerken muss, dass diese beiden Themenbereiche in den meisten Standardwerken recht stiefmütterlich behandelt werden, sollte das Kapitel für die nächste Auflage nochmals überarbeitet und ergänzt werden.
Fazit: Man darf die Herausgeberinnen und Autorinnen zu ihrem Werk beglückwünschen. Das Basislehrbuch Kriminologie wird mit einiger Sicherheit das kriminologische Standardwerk für die Ausbildung und das Studium der Polizei werden. Auch wenn das Lehrbuch trotz der „Polizeiperspektive“ grundsätzlich für alle Einsteigenden geeignet ist, sich einen ersten Überblick über die wissenschaftliche Kriminologie zu verschaffen, ist für Interessierte außerhalb der Polizei andere Literatur, wie die empfehlenswerten Standardwerke „Kriminologie – Eine Grundlegung“ von Singelnstein/Kunz, „Kriminologie – Ein Grundriss“ von Dölling/Hermann/Laue und auch immer noch „Kriminologie und Kriminalpolitik“ von Schwind/Schwind, aber sicher passender.

Prof. Dr. André Schulz LL.M. M.A., Hamburg


Verlag C.F. Müller

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