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Ausgabe Juli 2022

Kinder und Jugendliche im Strafverfahren

Kinder und Jugendliche im Strafverfahren als Informationsquellen gegen sich selbst und andere Probleme und Herausforderungen bei der Vernehmung minderjähriger Personen in der Praxis 
Von Heiko Artkämper, Martin Hussels und Leif Artkämper

 

Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte

Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte (NoeP)
Von Christoph Steinbach

 

Lichtbilder bei Anzeigen von Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten

Lichtbilder bei Anzeigen von Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten – datenschutzrechtliche Zulässigkeit
Von Stefan Els

 

Russland-Ukraine-Krieg

Der Krieg in der Ukraine
Folgen für Deutschland und Europa
Teil 3: Russische Desinformationskampagnen, Fake News und der Extremismus in Deutschland
Von Stefan Goertz

 

Kriminalistik

Verhütung und Bekämpfung von Cyberkriminalität in der Republik Kosovo
Vergleichende Analyse mit europäischen Rechtsinstrumenten
Von Orhan Çeku und Elissa Mollakuqe

 

Sicherheitsmanagement

Zwangsmittel des Einzelnen
Einsatz, Schulung und Ausbildung als integraler Bestandteil des Sicherheitsmanagements der Polizei der Tschechischen Republik
Hana Bartošová und Jaroslav Tureček

 

Kriminalprävention

Polizeiliche Kriminalprävention im Urheberrecht
Eine Kursentwicklung unter der Verwendung von Instruktionsdesign und einem motivationalen Lernmodell
Von Manuel Buckel

 

Kriminalgeschichte

Teufelspakt gegen die bundesdeutsche Demokratie
Zur Zusammenarbeit von RAF und MfS – Eine Analyse
Von Harald Bergsdorf

 

Kriminalistik-Schweiz

Strafprozessrecht und Digitalisierung
Quellen-TKÜ, Versiegelung und andere Herausforderungen in Zeiten von Threema, Signal und Telegram
Von Fabian Teichmann und Carla Staubli
 

 

Kriminalistik-Campus

INCELS – Eine kriminalistische Betrachtung der Subkultur anhand ausgewählter kriminalstrategischer Aspekte
Von Christian Eckhardt

Die Corona-Pandemie als Aktionsfeld der rechten Szene
Eine Analyse am Beispiel der Zeitschrift Compact
Von Lisa Schröder

 

Recht aktuell

Verfahrensfairness und rechtsstaatswidrige Tatprovokation

 

Literatur

Kommentierung der Spitzenklasse
Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung mit GVG und Nebengesetzen

Ein empfehlenswerter Ratgeber
Ingo Lenßen/Robert Scheel, Der Knast- Guide – für Verurteilte, Angehörige und Interessierte

Konkrete Handlungsempfehlungen im Umgang mit Opfern
M. Carolin Blum, Opferschutz und Opferhilfe. Handlungsempfehlung für die Polizeiarbeit

 

 

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Fachartikel

Kinder und Jugendliche im Strafverfahren als Informationsquellen gegen sich selbst und andere Probleme und Herausforderungen bei der Vernehmung minderjähriger Personen in der Praxis
Von Heiko Artkämper, Martin Hussels und Leif Artkämper
Auch Kinder und Jugendliche können Akteure im Strafverfahren sein. Zum einen kann sich das Strafverfahren nach Vollendung des 14. Lebensjahrs gegen sie richten, zum anderen können sie – unabhängig vom Alter – als Zeugen an dem Strafverfahren partizipieren. Der Gesetzgeber geht – zu Recht – von einer besonderen Schutzbedürftigkeit der jugendlichen und kindlichen Akteure aus. Zu berücksichtigende Besonderheiten im Umgang mit den jungen Verfahrensbeteiligten sollen in dem Beitrag skizziert werden.

Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte (NoeP)
Von Christoph Steinbach
Der Aufsatz beleuchtet den gesetzlich nicht geregelten Einsatz von „Nicht offen ermittelnden Polizeibeamten“. Nach einer Abgrenzung zum Verdeckten Ermittler anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien, wird auf einzelne Problemfelder eingegangen. Bei einer auf einem Motivirrtum beruhenden Einwilligung des Betroffenen, ist es einem NoeP nicht grundsätzlich verboten, Wohnungen zu betreten. Dies sollte jedoch nur ausnahmsweise, möglichst in Absprache mit der Staatsanwaltschaft, erfolgen, um die Grenzen zum VE nicht zu verwischen. Der Einsatz von Tarnpapieren ist zwar nicht ausschließlich dem VE vorbehalten, hiervon sollte jedoch beim Einsatz eines als Scheinkäufer agierenden NoeP abgesehen werden. Bei einer „verdeckten Vernehmung“ sind im Hinblick auf die Eingriffsintensität die Grenzen dessen erreicht, was noch auf die Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161 Abs. 1 i. V. m. 163 Abs. 1 S. 2 StPO gestützt werden kann.

Lichtbilder bei Anzeigen von Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten – datenschutzrechtliche Zulässigkeit
Von Stefan Els
Die Überwachung des ruhenden Verkehrs obliegt den örtlich zuständigen Ordnungsbehörden, erfolgt jedoch in der Regel lediglich bezogen auf erkannte Schwerpunkte. Gerade kurzfristige, in ihrer Wirkung jedoch nicht minder beeinträchtigende oder gar gefährliche, Verstöße bleiben in aller Regel von den Ordnungsbehörden unerkannt. Hiergegen kann sich der betroffene Bürger zwar mit einer Anzeige wehren. Diese läuft jedoch ins Leere, können nicht gleichzeitig beweiserhebliche Feststellungen getroffen werden. Eine Entscheidung des bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten degradiert den betroffenen Bürger zum wehrlosen Opfer rücksichtsloser Autofahrer selbst dann, wenn dessen Verhalten die Schwelle zur Verwirklichung eines Straftatbestandes tangiert.

Der Krieg in der Ukraine - Folgen für Deutschland und Europa
Teil 3: Russische Desinformationskampagnen, Fake News und der Extremismus in Deutschland
Von Stefan Goertz
Dieser Beitrag ist Teil 3 einer Serie über den Krieg in der Ukraine
und seine Folgen für Deutschland und Europa. Folgen auf den
Ebenen Innere Sicherheit, Sicherheitspolitik in Form einer Überschneidung
von Äußerer und Innerer Sicherheit, Flüchtlinge,
Energiesicherheit, wirtschaftliche Folgen mit potenziellen Konsequenzen
wie Populismus, Radikalismus und Extremismus in
Deutschland sowie eine potenziell neue Sicherheitspolitik
Deutschlands und Europas. In diesem dritten Teil liegt der
Schwerpunkt der Analyse auf den russischen Desinformationskampagnen,
ihren Fake News und deutschen Extremisten.
Teil 1 in Kriminalistik 5/2022Teil 2 in Kriminalistik 6/2022

Verhütung und Bekämpfung von Cyberkriminalität in der Republik Kosovo
Vergleichende Analyse mit europäischen Rechtsinstrumenten
Von Orhan Çeku und Elissa Mollakuqe
Dieser Beitrag analysiert die Strafgesetzgebung zur Prävention und Bekämpfung von Cyberkriminalität in der Republik Kosovo. Neben der Gesetzgebung wurde der institutionelle Rahmen analysiert, der sich mit der Bekämpfung dieses kriminellen Phänomens befasst. Der Aufsatz vergleicht die nationale Gesetzgebung mit europäischen internationalen Instrumenten im Bereich der Bekämpfung der Cyberkriminalität. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Budapester Konvention zur Computerkriminalität. Eine angemessene Gesetzgebung und kompetente Fachinstitutionen wirken sich auf die Prävention und Bekämpfung von Cyberkriminalität aus. Der Aufsatz stellt die Herausforderungen des Kosovo als kleinen und jungen Staat dar, der sich in der Phase des Aufbaus von Institutionen zur Prävention und Bekämpfung von Cyberkriminalität befindet.

Zwangsmittel des Einzelnen
Einsatz, Schulung und Ausbildung als integraler Bestandteil des Sicherheitsmanagements der Polizei der Tschechischen Republik
Hana Bartošová und Jaroslav Tureček
Der nachfolgende Artikel analysiert den Einsatz von Zwangsmitteln durch einzelne Polizisten in der Tschechischen Republik. Dabei geht es sowohl um die Ausbildung wie die tatsächliche Verwendung bezüglich solcher Zwangsmittel wie Griffe, Tritte und Schläge, sowie den Einsatz von Schlagstock, Handschellen, Abwehrsprays und Taser. Der Gebrauch von Schusswaffen ist ebenfalls eingeschlossen. Die Analyse stützt sich auf Daten, die durch empirische Untersuchungen in Prager Bereitschaftspolizeieinheiten gewonnen wurden. Die Untersuchung konzentriert sich auf Ausbildungsfragen, insbesondere auf die Häufigkeit und Wirksamkeit der Androhung des Einsatzes einzelner Zwangsmittel sowie auf die Häufigkeit und Wirksamkeit des tatsächlichen Einsatzes dieser Mittel. Eine Reihe von Empfehlungen wird in den Bereichen Sicherheitsmanagement, Gesetzgebung, Schulung und Ausbildung vorgeschlagen.

Polizeiliche Kriminalprävention im Urheberrecht
Eine Kursentwicklung unter der Verwendung von Instruktionsdesign und einem motivationalen Lernmodell
Von Manuel Buckel
Zu Beginn des neuen Jahrzehnts scheint es, als seien die Methoden der schulischen Wissens-, Norm- und Wertevermittlung in der analogen Welt am Zenit angelangt. Schulen besitzen professionelle Websites, digitalisieren ihre Klassenzimmer, unterrichten mit neuartigen Medien und lassen Hausaufgaben online in eine Cloud hochladen. Wahrlich ein Umbruch, der sich gerade, befeuert durch dich Coronapandemie, vollzieht. Jugendliche sind dabei gefordert, nicht nur im schulischen, vielmehr auch im privaten Kontext. Sie müssen sich in der schnelllebigen digitalen Welt zurechtzufinden, teilweise auf sich alleine gestellt. Denn bei weitem noch nicht alle Schulen integrieren Kompetenzvermittlung im Bereich der Neuen Medien in ihre Stundenpläne. Und neben den Chancen, die die digitale Welt bietet, entwickeln sich ebenso Risiken, die mit dem online sein einhergehen. Besonders der Bereich der Internetkriminalität ist durch einen negativen Trend zu charakterisieren, da oft das Befinden vorherrscht, das Internet sei ein rechtsfreier Raum. Die Präventionsbeamten der Polizei sind somit mehr denn je gefordert, bei ihren Interventionen auf die Risiken und Kriminalitätsformen bei der Nutzung des Internets aufmerksam zu machen. Es lässt sich eine Werte- und Normverschiebung erkennen, womit die Akteure der Prävention zusätzlich auf die einzelnen Individuen eingehen müssen.

Teufelspakt gegen die bundesdeutsche Demokratie
Zur Zusammenarbeit von RAF und MfS – Eine Analyse
Von Harald Bergsdorf
Über viele Jahre kooperierten die „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) bzw. ihr Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und die „Rote Armee Fraktion“ (RAF). Zu dieser Zusammenarbeit gehörte es, gesuchte RAF-Terroristen bis 1990 in der DDR vor westdeutschen Zielfahndern zu verstecken und zu verbergen. Damit förderte die SED bis zum Ende der DDR die RAF, die insgesamt zehn Polizeibeamte ermordete. Erst nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur unterstützten einige Aussagen der festgenommenen RAF-Mitglieder die Aufklärung einiger RAF-Verbrechen.

Strafprozessrecht und Digitalisierung
Quellen-TKÜ, Versiegelung und andere Herausforderungen in Zeiten von Threema, Signal und Telegram
Von Fabian Teichmann und Carla Staubli
In einer zunehmend digitalisierten Welt gehören Instant Messenger wie WhatsApp zu unserem Alltag. Daraus folgt, dass das Thema Datenschutz im Internet an Bedeutung gewinnt. Privatpersonen nutzen Apps wie Telegram, Threema und Signal, um von den hohen Sicherheitsstandards zu profitieren. Dies verschafft jedoch auch Straftätern und Straftäterinnen die Möglichkeit, in einem besonders geschützten Rahmen zu kommunizieren, was die Strafverfolgungsbehörden zunehmend vor neue Herausforderungen stellt.

 

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Kriminalistik Campus

Redaktion: Joachim Faßbender, Kriminaldirektor im Hochschuldienst, Leiter Fachgebiet „Kriminalistik – Phänomenbezogene Kriminalstrategie“, Deutsche Hochschule der Polizei, Münster

In der vorliegenden Ausgabe der Kriminalistik werden zwei Hausarbeiten veröffentlicht, welche als Prüfungsleistung des Moduls „Kriminalität – Phänomen, Intervention und Prävention“ im Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ an der Deutschen Hochschule der Polizei im Frühjahr 2022 gefertigt wurden.

Die Themen beider Arbeiten sind von hoher Aktualität sowie kriminalstrategischer und polizeipraktischer Relevanz. In seiner Arbeit „INCELS – Eine kriminalistische Betrachtung der Subkultur anhand ausgewählter kriminalstrategischer Aspekte“ befasst sich Christian Eckhardt mit einer noch recht jungen und in Deutschland weniger bekannten Erscheinungsform der Politisch motivierten Kriminalität. Dabei beschreibt der Autor vor dem Hintergrund ausgewählter kriminalstrategischer Elemente das Phänomen und geht der Frage des ihm innewohnenden Radikalisierungs- und Gefährdungspotentials nach. Zuletzt erlangte das Phänomen auch in Deutschland u. a. durch den ihm innewohnenden radikalen Antifeminismus Aufmerksamkeit.

In ihrer Analyse zu Publikationen der vom BfV seit Dezember 2021 als rechtsextremistisch eingestuften COMPACT-Magazin GmbH befasst sich Lisa Schröder mit den Fragen, ob in der Zeitschrift COMPACT Agitationsfelder der „Neuen Rechten“ mit der Corona-Pandemie und den Maßnahmen zu deren Eindämmung verknüpft werden und welche Schlussfolgerungen daraus für die Bekämpfung des Rechtsextremismus zu ziehen sind. Die Autorin zeigt dabei in ihrem Beitrag eine enge Verbindung des etablierten Sprachrohrs der „Neuen Rechten“ mit den Querdenker-Protesten auf.

 

INCELS – Eine kriminalistische Betrachtung der Subkultur anhand ausgewählter kriminalstrategischer Aspekte
Von Christian Eckhardt

Die Corona-Pandemie als Aktionsfeld der rechten Szene
Eine Analyse am Beispiel der Zeitschrift Compact
Von Lisa Schröder

 

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Recht aktuell

Verfahrensfairness und rechtsstaatswidrige Tatprovokation
1. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren gem. Art.6 Abs.1 Satz 1 EMRK erwächst einem Straftäter kein Anspruch darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten.
2. Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation durch eine Strafverfolgungsbehörde setzt voraus, dass mit einiger Erheblichkeit tatstimulierend auf den Täter eingewirkt wird.

BGH, Urt. v. 7.2.2022
5 StR 542/20 u. a.
jv

 

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Literatur

Kommentierung der Spitzenklasse
Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung mit GVG und Nebengesetzen, C.H. Beck Verlag München, 65. Aufl. 2022, 2758 S., in Leinen, 105 Euro

Mit der aktuellen Auflage ist der Kommentar auf den Stand März 2022 gebracht worden. Anstoß zu einer Neubearbeitung gaben insbesondere gesetzgeberischen Aktivitäten. Zu nennen sind hier insbesondere das Gesetz zur Fortentwicklung der StPO vom 25.6.2021 und das Gesetz zur Wiederherstellung der materiellen Gerechtigkeit vom 21.12.2021; durch letzteres wurde der Katalog der Wiederaufnahmegründen zuungunsten verurteilter Personen erweitert (§ 362 Nr. 5 StP0). Zu dieser umstrittenen Norm nimmt der Kommentator (Schmitt) umfassend Stellung (§ 362 Rn. 16 ff.). Seine Kritik ist fundiert und belegt wieder einmal, wie schnell der Gesetzgeber (unter einem schönfärberischen Titel) gelegentlich bereit ist, überkommene rechtsstaatliche Grundsätze über Bord zu werfen. Darüber hinaus galt es, zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen einzuarbeiten, z. B. zu den Rechtsfolgen bei unzulässiger Tatprovokation (§ 163 Rn. 34a f.).
Für die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft und Polizei), die Strafgerichte und für Strafverteidiger dürfte die Heranziehung des Kommentars bei Zweifelsfragen im beruflichen Alltag selbstverständlich sein. Die mit Ordnungswidrigkeitenverfahren befassten Verwaltungsbehörden müssen qua Verweisung (§ 46 Abs. 1 OWiG) partiell die Vorschriften der StPO anwenden. Auch sie gehören daher zur Zielgruppe des Werkes. Dass auch Studierende an den Polizei- und Verwaltungs(hoch)schulen den Kommentar nutzen (sollten), sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Fazit: Der „Meyer-Goßner/Schmitt“ bietet zu einem sehr guten Preis-Leistungs- Verhältnis eine Kommentierung der Spitzenklasse.

Prof. Dr. Jürgen Vahle, Bielefeld

 

Ein empfehlenswerter Ratgeber
Ingo Lenßen/Robert Scheel, Der Knast-Guide – für Verurteilte, Angehörige und Interessierte, München (dtv Verlagsgesellschaft), 2022, 134 S., 19,90 Euro

„Der Knast-Guide“ ist ein Ratgeber im Taschenbuchformat, der sich an Verurteilte, Angehörige und Interessierte richtet. Autoren sind der aus Film und Fernsehen bekannte Ingo Lenßen (u. a. in „Lenßen übernimmt“ auf SAT.1), im wahren Leben Strafverteidiger mit eigener Kanzlei am Bodensee, und sein Partner in der Kanzlei Robert Scheel, ebenfalls Strafverteidiger. Wie der Name schon sagt, soll das Buch einen Einblick in den Alltag der deutschen Justizvollzugsanstalten geben, wobei insb. beleuchtet wird, welche Rechte und Pflichten Inhaftierte haben. Bereits vorweg: Dies gelingt den Autoren gut. Aufgeteilt ist das Werk in sechs Kapitel auf 134 Seiten. Das erste Kapitel behandelt in einer Art Einleitung die Haft in Deutschland im Allgemeinen, wobei neben einigen Statistiken die Gefängnisorganisation, das Ziel des Gefängnisaufenthaltes sowie der Unterschied zwischen Untersuchungshaft und Strafhaft erörtert werden. Der Schwerpunkt des Ratgebers liegt im zweiten Kapitel mit dem Titel „Knastalltag“. Dort geht es um den Strafantritt und die Erstellung des Vollzugsplanes, den Alltag im Gefängnis mit wichtigen Themen wie Besuch, Telefon, Post- und Briefverkehr, Arbeit, Geld, Gesundheitsversorgung oder Disziplinarmaßnahmen, sowie die Entlassungsvorbereitung. Das dritte Kapitel behandelt vollzugliche Besonderheiten, z. B. Drogen im Gefängnis, Frauenvollzug, Jugendvollzug, Unterbringung von älteren Gefangenen oder Sicherungsverwahrung. Im vierten Kapitel werden die „berühmt-berüchtigsten“ Gefängnisse in Deutschland (JVA Hamburg-Fuhlsbüttel, JVA München-Stadelheim, JVA Berlin- Moabit, JVA Bautzen und JVA Stuttgart- Stammheim) und der „Hotelführer“ im Internet mit dem Ranking der „schrecklichsten“ Gefängnisse (ohne Nennung der dort aufgeführten Anstalten) vorgestellt. Hier müssen sich die Autoren die kleine, im Gesamtkontext indes zu vernachlässigende Kritik gefallen lassen, dass sich der Erkenntnisgewinn in diesem Kapitelmit einem Umfang von lediglich drei Seiten für den Leser in Grenzen hält. Die Kapitel fünf und sechs runden das Buch mit der Berechnung der Haftzeit und den Schlussworten der Autoren ab. Die Erläuterungen sind auch für den juristischen Laien gut verständlich, sie enthalten neben den wichtigsten Gerichtsentscheidungen an den passenden Stellen grafisch hervorgehobene Einschübe mit „Wissenswertes“ und „Tipps“. Das Problem, dass in jedem Bundesland eigene Vollzugsgesetzte mit zum Teil unterschiedlichen Regelungen gelten, lösen die Autoren, indem sie die Rechtslage grundsätzlich anhand des Strafvollzugsgesetz (StVollzG) darstellen, wobei die relevanten Vorschriften aus dem StVollzG zur besseren Verständlichkeit am Ende der jeweiligen Abschnitte nochmal im Wortlaut abgedruckt sind. Das StVollzG ist zwar in weiten Teilen durch die Einführung eigener Justizvollzugsgesetze der Länder infolge der Föderalismusreform aus dem Jahr 2006 überholt, dennoch wurden viele Regelungen des StVollzG in den Landesgesetzen übernommen. Soweit es demgegenüber abweichende Regelungen in den Bundesländern gibt, weisen die Autoren darauf hin. So wird beispielsweise bei den Ausführungen zur Gefangenenarbeit grundsätzlich die Arbeitspflicht beschrieben, die – in Anlehnung an § 41 StVollzG – in einigen Bundesländern gilt. Auf abweichende Rechtslagen wird wie folgt aufmerksam gemacht: „Einige Länder sehen keine Arbeitspflicht vor, sondern wollen Häftlinge zur Arbeit ermutigen und ihm geeignete Angebote machen.“ Hier wäre es zwar grundsätzlich wünschenswert, dass die jeweiligen Bundesländer explizit genannt werden. Zugegebenermaßen würde eine detaillierte Auseinandersetzung mit 16 verschiedenen Landesjustizvollzugsgesetzen allerdings den Rahmen des Werks als schneller Ratgeber im Taschenbuchformat sprengen und den juristisch unbedarften Leser wegen der Vielzahl unterschiedlicher Regelungen auch überfordern. Zusammenfassend kann für den „Knast-Guide“ uneingeschränkt eine Kaufempfehlung ausgesprochen werden. Der Preis von 19,90 Euro erscheint speziell für die Zielgruppe nicht gerade günstig, dafür erhält der interessierte Leser aber eine umfassende und gut verständliche Erläuterung, wie die Justizvollzugsanstalten in Deutschland organisiert sind und welche Rechte und Pflichten die Gefangenen haben. Ob es den Autoren gelingt, mit dem Buch „eine kleine Verbesserung im „Knastalltag“ des Gefangenen und seiner Familie herbeizuführen“, wie sie in der Einleitung schreiben, bleibt aufzuwarten. Ich will jedenfalls meinen Beitrag dazu leisten und das Buch umgehend in der Gefangenen- Bibliothek der JVA Wittlich einstellen, damit sich die Gefangenen den wertvollen Ratgeber zunutze machen können.

Dr. Jörn Patzak, Leiter der JVA Wittlich

 

Konkrete Handlungsempfehlungen im Umgang mit Opfern
M. Carolin Blum, Opferschutz und Opferhilfe. Handlungsempfehlung für die Polizeiarbeit, Kriminalistik Verlag, C.F. Müller GmbH Heidelberg, 2021, 149 Seiten, Buch flexibler Einband, auch als E-Book erhältlich, 26 Euro

M. Carolin Blum befasst sich in ihrem Buch „Opferschutz und Opferhilfe“ auf 135 Seiten und aufgeteilt in 7 Kapitel mit dem Thema Opferschutz und Opferhilfe aus polizeilicher Sicht.
Das Buch richtet sich explizit an Akteurinnen und Akteure in der Polizei sowie an Polizeianwärter/innen. Die Autorin spannt das Themenfeld Legalitätsprinzip (Strafverfolgungszwang), sekundäre Viktimisierung und Opferschutz als zentrale polizeiliche Themen auf.
Im Zentrum steht das Spannungsfeld von Opferschutz vs. Legalitätsprinzip. Aufgrund des Legalitätsprinzips ist die Polizei nicht befugt, sich ausschließlich an den Bedürfnissen von Opfern zu orientieren, die sich möglicherweise mit der Erwartung von Hilfe und Beistand an die Polizei wenden, aber (noch) nicht zu einer Anzeige bereit sind. Aus Sicht der Autorin droht dann die sekundäre Viktimisierung des Opfers durch die Polizei, weil die Anforderung, das Legalitätsprinzip zu beachten, für die Polizei verpflichtend ist und das Bedürfnis des Opfers dahinter zurückstehen muss. Gleichzeitig ist Opferschutz jedoch Aufgabe eines jeden Polizeibeamten und einer jeden Polizeibeamtin. Die Auseinandersetzung mit diesem Dilemma ist der rote Faden des Buchs.
Ein weiteres Themenfeld, welches die Autorin aufmacht, ist das Selbstverständnis der Polizei im Sinne von „Cop Culture“, in der sie die „Krieger-Männlichkeit“ als prototypische Figur der Polizistenkultur beschreibt. Die „Krieger-Männlichkeit“ sieht das „Jagen“ als ihre zentrale Aufgabe, was der Strafverfolgung entspricht. Die zweite Säule polizeilicher Arbeit neben der Strafverfolgung, die Gefahrenabwehr (das „Schützen“), kommt dabei potenziell zu kurz. Hieraus erklärt sich aus Sicht der Autorin eine potenzielle Benachteiligung des Opferschutzes und regt, in Anlehnung an EU-Strategien, die Notwendigkeit eines „Neu- bzw. Umdenkens“ innerhalb der Polizei an.
Die Autorin legt die juristischen Hintergründe sowie die historische Entwicklung der Thematik ausführlich dar und entwickelt mögliche Ansätze, um dieses Spannungsfeld zu lösen. Als mögliche konkrete Auswege entwirft sie die Konzepte des „Haus des Opferschutzes und der Opferhilfe (HdOO)“ sowie die „Opfer-Hilfe-App (OHA)“. Beides existiert – soweit ersichtlich – in der Realität noch nicht. Im HdOO geht es primär um die Auflösung des Spannungsfelds von Legalitätsprinzip und Opferschutz durch entsprechende räumliche und organisatorische Maßnahmen. Die OHA stellt eine Optimierung der Zugänglichkeit von Informationen für Opfer dar.
Das Buch thematisiert auch die strukturelle Einbindung des Opferschutzes in der Polizeiarbeit. Es finden sich darüber hinaus konkrete Handlungsempfehlungen im Umgang mit Opfern (S. 126). Die Notwendigkeit, die Thematik bundesweit in die polizeiliche Ausbildung einzubringen, wird ebenfalls diskutiert. 
Das Spannungsfeld von Legalitätsprinzip, dem die Polizei unterliegt, die daraus resultierende Gefahr der sekundären Viktimisierung von Opfern und die Probleme und Widersprüche, die sich hieraus ergeben, werden in dem Buch aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder beleuchtet. Die Konzepte der tatsächlichen Umsetzung aktiven Opferschutzes in der Polizei bleiben in theoretischen Modellen verhaftet. Das möglicherweise Entscheidende für die polizeiliche Arbeit findet sich eher versteckt im Text: die Notwendigkeit regionaler Vernetzung aller Akteure innerhalb und außerhalb der Polizei im Bereich Opferschutz und Opferhilfe sowie die konkreten Empfehlungen zum Umgang mit Opfern im direkten persönlichen Kontakt.

Tanja Kramper und Angelika Treibel, Heidelberg


Verlag C.F. Müller

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