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Ausgabe Oktober 2021

Oktober 2021

Fachartikel

Auslandseinsätze

Das gescheiterte Nation-building in Afghanistan durch die westliche Staatengemeinschaft
Von Prof. Dr. Stefan Goertz

 

Verdeckte Ermittlungen

Spezialeinheit der israelischen Grenztruppen
„Yehidat Mishtartit Mista‘avarim“: Zur Umsetzung des Konzepts des „embedded cop“
Von Dr. Christian Herrmann

 

Cybersicherheit

Die Quantentechnik kommt
Von Dr. Astrid Bötticher

 

Personalauswahl

Situational Judgment Tests bei der Polizei
Eine nützliche Erweiterung und/oder personalressourcensparende Alternative zu jetzigen Auswahlverfahren?
Von Lisa F. Braun und Joachim Albrecht
Anmerkungen (PDF-Download)

 

Prävention

Weibliche Genitalverstümmelung
Impulse für eine multifaktorielle und kultursensible Prävention in Deutschland
Von Dr. Isabel Lang

 

Kinderpornografie

Kinderpornografie – Mehr Prävention durch Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche?
Von Rainer Becker und Gesa Stückmann

 

Polizeirecht

Aktion Wasserschlag – das Trauerspiel um fehlgeschlagene Modernisierung des Bundespolizeigesetzes
Von Bernd Walter

 

Strafrecht

Die Bildung einer bewaffneten Gruppe im Sinne des §127 StGB durch Zweckänderung
Von Nadja Becker

Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten
Von Dr. Manfred Reuter

 

Kriminalistik-Schweiz

Spiegelt sich die veränderte Bedrohungslage auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung
wieder?

Ein Vergleich des SIPOL B 2016 und des Entwurfs SIPOL B 2021 und der Daten der Studienreihe „Sicherheit“ 2015 und 2021
Von Thomas Ferst

 

Kriminalistik-Campus

Todesermittlungsverfahren in Deutschland
Problematik und Defizite bei der äußeren Leichenschau
– Eine Chance für das perfekte Verbrechen?
Von Matthias Kroll

Die erweiterte DNA-Analyse als Vorarbeit für eine DNA-Reihenuntersuchung
Eine Betrachtung der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken
Von Jan Winkler

 

 

Recht aktuell

Überwachung der Telekommunikation in anderem EU-Mitgliedstaat

Gewahrsamssituation des im Ausgabefach des Bankautomaten liegenden Bargelds

Verdeckter Zugriff auf beim Provider zwischen oder endgespeicherte („ruhende“) E-Mails

 

Literatur

Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz

Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen

 

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Fachartikel

Das gescheiterte Nation-building in Afghanistan durch die westliche Staatengemeinschaft
Von Stefan Goertz
Dieser Beitrag beginnt eine erste Bilanz der gescheiterten Nation-building-Mission in Afghanistan durch die westliche Staatengemeinschaft mit einer kurzen Skizze der Entwicklung der sicherheitspolitischen Lage in Afghanistan nach dem 11. September und dem Beginn der westlichen Intervention. Ein wesentliches Kapitel stellt „2.2 Der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte und das Scheitern der afghanischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen die Taliban“ dar. Das Kapitel „3. Das Ende des Nation-buildings in Afghanistan: Die Fehleinschätzung der westlichen Politik und Nachrichtendienste“ zeigt Fehler historischen Ausmaßes der westlichen Politik und Nachrichtendienste bei der Analyse der Nation-building-Mission in Afghanistan auf. Das Kapitel 4 stellt mögliche Folgen für die Zukunft Afghanistans und die internationale Staatenwelt dar.

Spezialeinheit der israelischen Grenztruppen
„Yehidat Mishtartit Mista’avarim“: Zur Umsetzung des Konzepts des „embedded cop“
Von Christian Herrmann
Der vorliegende Aufsatz thematisiert eine Spezialeinheit der israelischen Grenztruppen, die auch aufgrund der TV-Serie „Fauda“ einige Bekanntheit in der Bundesrepublik erlangt hat: Die „Araber“ oder auch „Mista’avarim“. Absicht des Aufsatzes ist es, neben einer Vorstellung dieser Spezialeinheit, zu prüfen, ob sich eine ähnliche Spezialeinheit auch für die Bundesrepublik als zweckmäßig erweist. Angesichts einer sich diversifizierenden Gesellschaft, einer sich seit 2015 vollziehenden Migration aus dem Nahen (arabische Staaten) und Mittleren Osten (u. a. Afghanistan) und aus dieser Region bereits bestehender OK-Strukturen (libanesische Clans in Berlin, Bremen, Niedersachen und Nordrhein- Westfalen) scheint eine Anpassung operativer Polizeieinheiten im Bereich Aufklärung und Fahndung notwendig. Bereits an dieser Stelle sei festgestellt, dass der Verfasser an dieser Stelle keine qualitative Wertung der bestehenden Kriminalitätsphänomene oder juristische Bewertung der Migrationslage vornimmt. Ableitungen werden schwerpunktmäßig für die Bundespolizei getroffen, wobei Einzelelemente des Konzepts auch für Einheiten der Landeskriminalämter beziehungsweise das Bundeskriminalamt gelten können.

Die Quantentechnik kommt
Von Astrid Bötticher
Die „Freiheitssicherung im digitalen Staat“ kann nur gelingen, wenn eine „Freiheitssicherung durch den digitalen Staat“ aktiv betrieben wird. Insbesondere die wissensbasierte Ökonomie und die damit schnell sich entwickelnden Techniken aus dem „Deep-Tech“ Bereich stellen gesellschaftliche Akteure und politische Entscheider mit ihren radikalen Innovationen vor ganz neue Herausforderungen. Zu diesen großen Herausforderungen gehört die Quantentechnik, deren Potenz die Neuausrichtung von Cybersicherheit den postdigitalen Umbau des Staates und seiner Institutionen unumgehbar macht.

Situational Judgment Tests bei der Polizei
Eine nützliche Erweiterung und/oder personalressourcensparende Alternative zu jetzigen Auswahlverfahren?
Von Lisa F. Braun und Joachim Albrecht
Personalauswahl stellt in Zeiten des „War for Talent“, also des „Kampfes um die besten Talente“ ein wichtiger Bestandteil der Personalbeschaffung dar. Doch wie werden die bestgeeigneten Personen überhaupt gefunden? Auch bei der Polizei kommen diese und ähnliche Fragen auf: „Wie finden wir unter allen Bewerbern die Personen, für die der vielfältige Beruf als Polizist auch wirklich geeignet ist?“. Ein Auswahlverfahren, welches in diesem Zusammenhang nützlich sein könnte, ist der Situational Judgment Test (SJT), der bereits eine lange Forschungsgeschichte hinter sich hat und überraschenderweise bei der Auswahl von polizeilichem Nachwuchs noch viel zu wenig Beachtung findet. Ein SJT ist ein simulationsorientiertes Messinstrument, ähnlich wie situative Fragen im Interview – nur deutlich kosteneffizienter, da er personalressourcenschonender und am PC durchführbar ist. Bei diesem Messverfahren werden Bewerbern berufsrelevante, hypothetische Situationen mit entsprechenden Antwortoptionen präsentiert. Mehrere Studienergebnisse belegen die inkrementelle Validität, was den Mehrwert durch ein Hinzufügen dieses Auswahlverfahrens belegt.
Anmerkungen (PDF-Download)

Weibliche Genitalverstümmelung
Impulse für eine multifaktorielle und kultursensible Prävention in Deutschland
Von Isabel Lang
Anfang Februar 2021 stellte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey den „Schutzbrief“ gegen FGM (Female Genital Mutilation – weibliche Genitalverstümmelung) vor. Er soll verhindern, dass Mädchen, die selbst oder deren Familien als Ländern stammen, in denen FGM praktiziert wird, v. a. bei einem Urlaub in den Herkunftsländern, beschnitten werden. Der vorliegende Beitrag beleuchtet, welche Entwicklungen der Prävention von FGM es in Deutschland gegeben hat und was noch getan werden sollte, um FGM in Deutschland, aber auch weltweit, zu verhindern. Dabei wird für eine multifaktorielle Prävention plädiert, die sich entschieden dagegen ausspricht, zugleich aber kultursensibel vorgeht und den Betroffenen auf Augenhöhe begegnet. Auch die Einführung einer Meldepflicht wird vorgeschlagen.

Kinderpornografie – Mehr Prävention durch Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche?
Von Rainer Becker und Gesa Stückmann
Im Bereich des Cybermobbings gibt es mittlerweile gute Ansätze, den Tätern auch zivilrechtlich das Unrecht ihrer Taten aufzuzeigen und die davon Betroffenen so wenigstens ein wenig zu entschädigen. Die Autoren entwickeln nachfolgend Gedanken, ob und wie diese zivilrechtliche Reaktion auch auf der Erstellen und das Verbreiten von kinderpornografischen Material übertragen werden kann – zumindest in den Fällen, in denen über namentlich benennbare Betroffene hinaus ein beklagbarer Täter ermittelt werden konnte, der diese Material erstellt und verbreitet hat und andere, die dieses Material nutzten, um sich sexuell daran zu erregen und es an Menschen mit gleichen kriminellen Interessen weiterzuleiten. Zumindest dürfte es Täter, die noch nicht ermittelt worden sind, nachdenklich machen, wenn sie neben Geld- oder Freiheitsstrafen auch noch zivilrechtlich Schadenersatz oder Schmerzensgeld zu leisten hätten, die sie vielleicht sogar noch teurer zu stehen kämen als die bloßen strafrechtlichen Folgen.

Aktion Wasserschlag – das Trauerspiel um die fehlgeschlagene Modernisierung des Bundespolizeigesetzes
Von Bernd Walter
Die wesentlichen Rechtsgrundlagen der Bundespolizei, zwischenzeitlich mit über 50.000 Bediensteten personalstärkste Polizei der Bundesrepublik, sind seit geraumer Zeit überarbeitsbedürftig. Das fast dreißig Jahre alte Bundespolizeigesetz berücksichtigt weder die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch die aktuelle Entwicklung im Gefahrenabwehrecht mit ihrem Prozess der Neuorientierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Ein letzter Versuch der Modernisierung des Bundespolizeigesetzes in der Schlussphase der 19. Legislaturperiode scheiterte am Einspruch der Länder im Bundesrat und lässt Zweifel aufkommen, ob die Verantwortlichen die zutreffenden Konsequenzen aus den Untersuchungsberichten der Ermittlungsskandale der letzten Zeit gezogen haben. Die wesentlichsten Vorbehalte der Länder richteten sich gegen die Erweiterung der Strafverfolgungszuständigkeiten der Bundespolizei. Sowohl für die Bediensteten der Bundespolizei als auch für die effizientere Zusammenarbeit der Polizeien von Bund und Länder wurde eine Chance vertan.

Die Bildung einer bewaffneten Gruppe im Sinne des § 127 StGB durch Zweckänderung
Von Nadja Becker
Nach der Durchsicht des § 127 StGB stellt sich ein jeder Leser wohl Gruppen organisierter Kriminalität vor, deren Bildung dem Strafrecht unterstellt sein soll. Spätestens jedoch seit dem höchstrichterlichen Urteil vom 14.6.2018 wird klar, dass die Verwirklichung des § 127 StGB keine Seltenheit mehr darstellt und sich gerade nicht auf schwerste Bandenkriminalität beschränkt. Das ursprüngliche Bild paramilitärischer oder militärähnlicher Organisationen ist mithin passé. Das Bilden einer bewaffneten Gruppe kann danach auch bei kleinen unorganisierten Gruppen unter Strafe stehen, sodass die polizeilichen Ermittlungen auch diesen Straftatbestand stets im Blick haben sollten.

Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten
Von Manfred Reuter
In den vergangenen Jahren haben sog. „Feindeslisten“ zu erheblicher Verunsicherung in der Bevölkerung und bei den Betroffenen, zumeist politisch oder gesellschaftlich engagierte Personen, geführt. Solche Listen sind Sammlungen von (Adress-)Daten, Informationen oder Fotos von Personen, vorwiegend über Internet verbreitet, die mit subtilen bzw. ausdrücklichen Drohungen oder Hinweisen gegen diese Personen verbunden sind. Sie entfalten oftmals eine einschüchternde, verunsichernde oder bedrohliche Wirkung und können bislang nicht in der Öffentlichkeit stehende Personen „outen“. Solche Feindeslisten sind nach Ansicht der Bundesregierung geeignet, die Bereitschaft anderer zu wecken oder zu fördern, Straftaten gegen diese Personen zu begehen. Sie wirken auf die Bevölkerung verängstigend und können das friedliche Zusammenleben erheblich beeinträchtigen. Da das derzeitige Strafrecht solche Phänomene nicht oder nur teilweise erfasst, soll der neu einzuführende § 126 a „Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten“ eine diesbezügliche Strafbarkeit schaffen.

Spiegelt sich die veränderte Bedrohungslage auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung wieder?
Ein Vergleich des SIPOL B 2016 und des Entwurfs SIPOL B 2021 mit den Daten der Studienreihe „Sicherheit“ 2015 und 2021
Von Thomas Ferst
Der Vergleich zwischen den Daten der Studien „Sicherheit“ 2015 und 2021 zeigt, dass die subjektive Eintretenswahrscheinlichkeit ausgewählter Bedrohungen insgesamt signifikant gestiegen ist. Dabei ist der Anstieg auf die signifikant höher beurteilte Eintretenswahrscheinlichkeit einer Pandemie, von Cyber-Attacken und einer Wirtschaftskrise zurückzuführen. Der Vergleich zwischen dem SIPOL B 2016 und dem Entwurf SIPOL B 2021 zeigt, dass sich die objektive Bedrohungslage verschärft hat. Da sich grösstenteils die subjektive Einschätzung mit der objektiven Einschätzung der Bedrohungslage durch Sicherheitsbehörden deckt, hat die Bevölkerung die veränderte Sicherheitslage wahrgenommen.

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Kriminalistik Campus

Redaktion:
Matthias Lapp, Leitender Kriminaldirektor im Hochschuldienst, Michael Rauschenbach, Kriminaldirektor im Hochschuldienst, beide Fachgebiet Kriminalistik – Allgemeine Kriminalstrategie, Deutsche Hochschule der Polizei, Münster

In der vorliegenden Campus-Ausgabe werden erneut zwei Arbeiten präsentiert, die als Hausarbeiten im Modul 13 – Kriminalität – Phänomen, Intervention, Prävention als Prüfungsleistung des Jahres 2020 bzw. 2021 verfasst worden sind. Beiden Autoren war aufgrund der Corona-Pandemie der Zugang zu Daten und Interviewpartnern erschwert.
Matthias Kroll beschäftigt sich in seiner Arbeit mit der äußeren Leichenschau als ein Teilaspekt der Bearbeitung von Todesermittlungsverfahren. Obwohl die kriminalistischen Ermittlungen bei nicht natürlichen Todesfällen regelmäßig Gegenstand der Fachliteratur waren, scheint noch keine wesentliche Verbesserung der äußeren Leichenschau eingetreten zu sein. Daher wirft Kroll in seiner Arbeit die Frage auf, ob die in Deutschland praktizierte äußere Leichenschau angesichts der Missstände und Defizite in der gegenwärtigen Form noch eine Zukunft hat.
Neben einer literaturbasierten Bestandsaufnahme zur Qualität der äußeren Leichenschau betrachtet der Verfasser die Initiativen des Gesetzgebers zu deren Verbesserung sowie die Vorschriftenlage in den Bundesländern. Darüber hinaus hat er stellvertretend ein Experteninterview mit einem erfahrenen Leiter einer bayerischen Kriminalpolizeiinspektion (KPI) geführt und die Ergebnisse in die Arbeit eingearbeitet. Die Arbeit ist sowohl für die unmittelbare Sachbearbeitung als auch für die Führungsebene relevant, da sie neben den konkreten praktischen Defiziten kriminalstrategischen Handlungsbedarf aufzeigt.

Jan Winkler thematisiert in seiner Hausarbeit die mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens eingeführten erweiterten Möglichkeiten der molekulargenetischen Untersuchung. Gemäß § 81 e Absatz 2 StPO darf sich die Untersuchung seit Inkrafttreten im Dezember 2019 unter bestimmten Voraussetzungen auch auf die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das Alter erstrecken. Ebenso wie die DNA-Reihenuntersuchung gem. § 81 h StPO begegnete die Vorschrift von Beginn an einigen Vorbehalten, insbesondere im Hinblick auf die Eingriffsintensität sowie die Gefahr von Diskriminierung und Stigmatisierung.
Winkler untersucht, inwiefern die Durchführung der erweiterten DNA-Analyse im Vorfeld einer DNA-Reihenuntersuchung – auch im Sinne eines grundrechtsschonenden Eingriffs – zielführend sein kann. Unter Einbeziehung der Fachkenntnisse je eines Experten des LKA Hamburg und des LKA Schleswig- Holstein analysiert er im Rahmen einer SWOT-Analyse die jeweiligen Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken und geht dabei gezielt auch auf die bekannten Kritikpunkte ein. Daraus leitet er konkrete Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen ab.

Todesermittlungsverfahren in Deutschland
Problematik und Defizite bei der äußeren Leichenschau – Eine Chance für das
perfekte Verbrechen?
Von Matthias Kroll

Die erweiterte DNA-Analyse als Vorarbeit für eine DNA-Reihenuntersuchung
Eine Betrachtung der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken
Von Jan Winkler

 

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Recht aktuell

Überwachung der Telekommunikation in anderem EU-Mitgliedstaat
1. Erstreckt sich die Überwachung der Telekommunikation auf das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, hat der überwachende Mitgliedstaat, sobald er Kenntnis davon erlangt, die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, dessen Hoheitsgebiet betroffen ist, von der Ermittlungsmaßnahme zu unterrichten.
2. Die zuständigen Behörden des unterrichteten Mitgliedstaates haben der zuständigen Behörde des überwachenden Mitgliedstaats unverzüglich und spätestens innerhalb von 96 Stunden nach Erhalt der Unterrichtung mitzuteilen, ob die Überwachung nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist. Unterbleibt eine solche Mitteilung an die Behörden des überwachenden Mitgliedstaats, gilt die TKÜ-Maßnahme als im unterrichteten Mitgliedstaat genehmigt.
3. Grundlage für einen spontanen Informationsaustausch ist Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/ JI des Rates vom 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
4. Die übermittelten Daten dürfen als Beweismittel in einem Strafverfahren verwendet werden, wenn der übermittelnde Staat seine Zustimmung erteilt hat.

OLG Bremen, Beschl. v. 18.12.2020
1 Ws 166/20
jv


Gewahrsamssituation des im Ausgabefach des Bankautomaten liegenden Bargelds
1. Gewahrsam ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft eines Menschen über eine Sache. Welche Person die tatsächliche Herrschaft hat, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls und nach den Anschauungen des täglichen Lebens.
2. Bargeld, welches nach ordnungsgemäßer Bedienung eines Geldautomaten im Ausgabefach bereitgestellt wird, steht regelmäßig (auch) im Gewahrsam der Person, die diesen Vorgang durch Eingabe von Karte und Pin in Gang gesetzt hat und wird nach der Verkehrsauffassung dem, den Bankautomaten (vor Ort) regulär benutzenden, Kunden zugeordnet.

BGH, Beschl. v. 3.3.2021
1-4 StR 338/20
bb


Verdeckter Zugriff auf beim Provider zwischen- oder endgespeicherte („ruhende“) E‑Mails
Bei einem verdeckten Zugriff auf beim Provider gespeicherte E-Mails handelt es sich um Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation i. S. des § 100 a Abs. 1 Satz 1 StPO; diese Vorschrift stellt damit eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für diese Maßnahme dar.

BGH, Beschl. v. 14.10.2020
5 StR 229/19
jv

 

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Literatur

Neu bearbeiteter Kommentar
Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 22. Aufl. 2021, 2062 S., in Leinen, C. H. Beck, 67 Euro

Die Neubearbeitung des Kommentars steht (auch) im Zeichen von COVID-19. Etablierte Regelungsinstrumente, z. B. die Allgemeinverfügung des § 35 Satz 2 VwVfG, haben auf diesem Feld eine große Bedeutung erhalten (s. hierzu § 35 Rn. 161a). Neu gefasst wurde die Kommentierung zu § 13 (Beteiligte) und § 54 (Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags). Nicht nur die äußere Gestaltung des Kommentars, sondern auch die inhaltliche Darstellung sind überzeugend. Die Ausführungen sind präzise, fundiert und – für die Praxis nicht unwichtig – kommen schnörkellos auf den Punkt. Rechtsprechung und Literatur wurden, wie kaum anders zu erwarten, umfassend aktualisiert. In Verwaltungs-, Gerichts- und Hochschulbibliotheken gehört der Kommentar seit langem zum Pflichtbestand. Das VwVfG (bzw. fast gleichlautendes Landesrecht) spielt auch für den Tätigkeitsbereich der Polizei eine nicht unwichtige Rolle. Im Recht der Gefahrenabwehr sind zwar vorrangig die Vorschriften der Polizeigesetze maßgebend. Soweit diese jedoch Regelungslücken enthalten – was nicht selten der Fall ist – sind sie durch Rückgriff auf das allgemeine Verwaltungs(verfahrens)recht zu schließen, z. B. hinsichtlich der Anhörung (§ 28) und der Bekanntgabe von Polizeiverfügungen (s. §§ 41, 43 VwVfG).
Auch Studierende an Universitäten und Fachhochschulen sollten die Anschaffung des Kommentars in Erwägung ziehen. Dafür sprechen nicht nur seine hohe Qualität, sondern auch der – im Vergleich zur Vorauflage unverändert gebliebene – sehr günstige Preis.
Fazit: Der „Kopp/Ramsauer“ ist die erste Adresse bei den (Kurz-)Kommentaren zum Verwaltungsverfahrensgesetz.

Prof. Dr. Barbara Blum, Bielefeld

 

Wissenschaftlich herausragend und zugleich praxisnah
Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, C. H. Beck, 68. Aufl. 2021, 2737 S., geb. 99 Euro

Der Kommentar aus der Feder des Vorsitzenden Richters am BGH a. D. Thomas Fischer erscheint wie üblich ein Jahr nach der Vorauflage. Die aktuelle Auflage befindet sich auf dem Gesetzesstand vom 1. Oktober 2020. Die Neubearbeitung war insbesondere im Hinblick auf etliche Gesetzesänderungen und die Einfügung neuer Vorschriften (§ 90 c: Verunglimpfung von Symbolen der Europäischen Union; § 184 k: Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen) geboten. Die Änderungen durch die Modernisierung des Schriftenbegriffs (jetzt: Inhalte, s. § 11 Abs. 3) sind ebenfalls berücksichtigt. Soweit die Neufassung von Vorschriften sich noch im Gesetzgebungsverfahren befindet, sind die geplanten Änderungen zumindest vermerkt, teilweise auch in die Kommentierung einbezogen.
Auch ansonsten wird die Aktualität des Kommentars an vielen Stellen deutlich. So findet man Ausführungen zu sog. Triage, die im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung von COVID- 19-Patienten diskutiert wurde (vor § 32 Rn. 11 a). Neue Rechtsprechung und Literatur wurden schließlich umfassend eingearbeitet.
Die Praktiker der Strafrechtspflege in der Justiz, der Polizei und der Anwaltschaft kommen am „Fischer“ nicht vorbei. Im Rahmen des Jurastudiums ist der Kommentar wohl eine der wichtigsten Informationsquellen im Strafrecht. Auch und erst recht sei der Kommentar auch Studierenden an den Hochschulen der Polizei zur Anschaffung empfohlen. Fazit: Der wissenschaftlich herausragende und zugleich praxisnahe Kommentar von Fischer gehört nach wie vor zu den Top-Werken der „ersten Reihe“.

Prof. Dr. Jürgen Vahle, Bielefeld


Verlag C.F. Müller

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