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Hass auf die Polizei

Editorial der Ausgabe Juli 2020

Verehrte Leserinnen und Leser,

unter dem Leitthema „Hass auf die Polizei“ veröffentlichte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ Ende Juni mehrere lesenswerte Aufsätze mit durchaus treffenden Analysen. Auch wenn viele Antworten auf die Grundfrage offengelassen werden, „warum Polizisten verachtet und angegriffen werden – nicht nur in Stuttgart“, zeigen die Lagebeschreibungen doch, dass wir viel über die Entstehungsbedingungen und die Ursachen der aufkommenden sozialen Unruhen wissen. Wer es aber wagt, schon allein die für diese Gewalttäter verwendeten Begriffe wie „erlebnisorientierte Jugendliche“ oder „Party- und Eventszene“ als verharmlosend kritisch zu hinterfragen, wird sofort in die rassistische und rechte Ecke gestellt. Die Polizei(führung) muss sich mit ihrem Wissen über Hintergründe und Täterstrukturen zurückhalten und öffentliche Äußerungen den Gewerkschaften überlassen, während sich die Politik aus der Verantwortung schleicht und in Floskeln wie Weltoffenheit und Liberalität flüchtet. Toleranz ist ein Zeichen von Schwäche. So sieht es jedenfalls der Mob, der die Polizei entmenschlicht. Offen befeuert werden solche Einstellungen auch durch Hatespeech in der „taz“ (siehe Kommentar). Die Polizei darf und wird aber keinesfalls in Selbstmitleid verfallen. Gerade jetzt, wo andere versagen und sie im Hass scheinbar alleine lassen, ist sie als funktionierende Instanz zur Wiederherstellung und Bewahrung des Rechts unverzichtbar. Sie wird auch die Diskriminierung durch das Berliner „Antidiskriminierungsgesetz“ überstehen, genauso wie den Vorwurf des latenten Rassismus durch die Vorsitzende einer ehemaligen Volkspartei. Schließlich geht eine Demokratie bekanntlich weniger an ihren Feinden zugrunde, sondern an zu wenig Freunden, die sich für sie und ihre Organe einsetzen. Viele stehen verbal hinter der Polizei – leider ganz weit und in sicherer Deckung!

Die gesellschaftlichen Verwerfungen und die Erosion demokratischer Werte zeigen sich an vielen Symptomen und Beispielen. Auch die Corona-Pandemie löst soziale, psychologische und wirtschaftliche Veränderungen aus, die Dr. Uwe Füllgrabe am Beispiel der Kriminalität beschreibt. Besonders drastische Auswirkungen zeigen sich für Manfred Paulus im Rotlichtmilieu, wo das Virus auch die Prostitutionsgesetze als realitätsferne und wenig taugliche Instrumente enttarnt. In Monatsabständen werden, wie zuletzt in Münster, übelste Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern und der Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie bekannt, die jede Vorstellungskraft sprengen. Mittels selbstentwickelter Tools auf der Basis künstlicher Intelligenz können die Ermittler zumindest bei der Auswertung und Sichtung der Massendaten etwas entlastet werden. Eine quantitative Analyse polizeilicher Erkenntnisse von Kinderpornografiekonsumenten durch Nadine Ahlig und Christian Schulz ergab eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass Tatverdächtige auch wegen eines Sexualdelikts zum Nachteil eines Kindes in Erscheinung treten, ausgenommen per se bei der Herstellung von Kinderpornografie. Nach solchen schändlichen Delikten an Kindern und auch nach den Gewaltexzessen auf unseren Plätzen und Straßen wird immer reflexartig nach härteren Strafen gerufen. Diese Rhetorik lenkt von den wirklichen Defiziten ab. Die Ermittlungsbehörden brauchen besonders im Bereich der virtuellen Welt mehr Kompetenzen. Die „Baustellen“ sind hinlänglich bekannt: Quellen-TKÜ, Online-Durchsuchung und die Vorratsdatenspeicherung. 2019 wurden Daten von 2.100 Fällen von Kinderpornografie aus den USA übermittelt, die nicht aufgeklärt werden konnten, weil die IP-Adressen mangels Vorratsdatenspeicherung keinem konkreten Anschluss mehr zugeordnet werden konnten. Wo bleibt hier die Empörung?

Ihr
Bernd Fuchs
Chefredakteur
 


Verlag C.F. Müller

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